Über meine Kunst

Judith Meisner - August 2016

 

An der Freien Berliner Kunstschule studiert Birgit Wiehe (geb. Schmitz) in den achtziger Jahren und legt eine solide Basis für ihre Arbeit. Das Studium ist geprägt von großer Experimentierfreude in unterschiedlichen Malweisen. Dabei entdeckt die angehende Künstlerin die heute angesagten Mixed Media; eine Technik, für die sie sich nach wie vor begeistert.


In dieser Zeit entstehen kühne Architekturstudien in warmen, gebrochenen Farben, die an jene der modernen Sachlichkeit des frühen 20. Jahrhunderts erinnern. Die Architekturbilder, Landschaftsstudien und die Reihe „Krüge und Töpfe“ basieren auf Inspirationen, gesammelt auf mehreren Portugal-Reisen. Die ganze Vielfalt des Landes am Tejo taucht immer wieder im Werk von Birgit Wiehe auf. Die Auseinandersetzung mit der Landschaftsmalerei mündet später in die sogenannten Gesichtslandschaften. Denen stehen abstrakte, fein nuancierte Studien gegenüber.


Erste öffentliche Auftritte folgen dem Studium. Erfolgreiche Personal-Ausstellungen zeigen Stillleben in Mischtechnik im Spandauer Barfly und in der Galerie im Kulturhaus Spandau sowie auf Rügen. Birgit Wiehe präsentiert Töpfe, Krüge und Flaschen, die wie eigenständige Individualitäten wirken und an charaktervolle Persönlichkeiten erinnern. Zunächst in Schwarz-Weiß, in Kohle und Kreide, dann kommen immer stärkere und kontrastreichere Farben hinzu. Auch hier ist ihr Interesse an Gebautem, an Kuben und Volumen, unübersehbar.


Nach der Phase der Flaschen und Krüge beschäftigt sich Birgit Wiehebis heute mit dem Porträt. Daraus entwickelt sie die schon erwähnten Gesichtslandschaften. Sie malt mit geschlossenen Augen, während sie sich mit der zu porträtierenden Person unterhält. In einem zweiten Arbeitsgang werden bestimmte Partien verstärkt, andere weggelassen. Das Resultat sind Landschaften, die an Gesichter erinnern -oder Gesichter wie Landschaften, die das Leben gestaltet hat. Es sind Vexierbilder, die je nach Stimmung des Betrachters in die eine oder andere Richtung weisen. Die Farben ergänzt die Künstlerin, um den Charakter der jeweiligen Persönlichkeit herauszuarbeiten. Zuweilen erscheinen Buchstaben auf den Bildern, hinter denen sich die Namen der Porträtierten verbergen. Titel sollen die Phantasie nicht einengen.


Auf Waldspaziergängen fotografiert Birgit Wiehe das Wachstum von Fliegenpilzen. Diese Dokumentation erinnert entfernt an Filme von Peter Greenaway über Verwesungsphantasien und wird zum Rohmaterial für ihre Malerei. So entstehteine große Serie mit Fliegenpilzen in jeder Form und Größe. (…)


Angereichert werden diese Traumlandschaften mit ganz realen Fotoausschnitten. Man entdeckt alltägliche Spaziergänger in Funktionskleidung mitten in dem Pilzkosmos. Sie symbolisieren das Diesseitige, das Prosaische in der Märchenwelt der Pilze. Der giftige Fliegenpilz gilt uns als Glückssymbol. (...) In Birgit Wiehe`s Bildern stehen sich Mensch und Natur in der Duplizität von Glück und Gift gegenüber. Und der fotografierte Mensch in seinem Alltag als harmloser Spaziergänger ahnt allenfalls die Nähezu diesen beiden Schicksalssträngen.


Es gibt auch menschenleere Landschaften: Totes Geäst streckt seine dunklen, dürren Zweige aus wie ein
melancholischer Vorhang, dahinter kraftvolle Farben. So als habe die fortschreitende Umweltverschmutzung bereits final gewirkt und die einstigen Glücksbringer ließen ihr Gift tödlich wirken. Unverhofft kann in der Landschaft ein riesiges, grinsendes Kürbisgesicht von der letzten gruseligen Halloween-Party auftauchen. Der frische Rot-Grün-Kontrast wird mehr und mehr von Gelb und Braun flankiert, Herbstfarben, die in diesem Zusammenhang an zerfallende Pilze und Modergeruch erinnern. Auch hier wieder die Doppelung: Aus dem Moder entsteht Humusals Basis für neues Leben im Frühling.


Die Pilzlandschaften scheinen einen Ausschnitt eines größeren Ganzen zu bieten, wie ein Allover-Muster könnten sich die Gemälde nach allen Seiten weiter ausdehnen. Birgit Wiehe hält in ihrer Malerei einen winzigen Ausschnitt der weiten Welt fest. Zugleich zeigt sie uns ein beinahe kindliches Staunen darüber. Diese märchenhafte Schönheit, selbst wenn es eine fragwürdige ist, hält sie in ihrer Arbeit fest.


Bildwürdig ist alles, so lange es spannend ist und faszinieren kann. Damit positioniert sich Birgit Wiehe in der engagierten Kunst, weit ab von jeder Gefälligkeit in Inhalt und Form. Allzu große Harmonie sucht man vergeblich und das ist gut so. Spannungsgeladene Ecken und Kanten reiben sich aneinander, schnell hingeschriebene Kürzel geben uns zu verstehen, was gemeint ist - das moderne Auge braucht keine kleinteilige Deklination des Bekannten mehr. Es ergänzt fehlendes und macht sich auf die Suche nach weiteren Elementen, um Vertrautes ebenso zu entdecken wie Unbekanntes. Die Bilder sind visuelle Reisen in ferne Phantasie-Landschaften.


Die Serien wachsen allmählich und brechen sich schließlich Bahn. Dabei entwickeln sie sich fortlaufend zu einer immer freier werdenden Interpretation des Sujets. So stehen die halbabstrakten Gesichtslandschaften mitten in einer solchen Entfaltung und warten auf weitere Porträts.

 

© Judith Meisner

 

 

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